Standort: Ria Formosa
36° 59’ 955 N / 007° 50’ 517 W
Die Tage bleiben warm, doch das Wetter hat begonnen, seinen Charakter zu ändern. Der Himmel ist launischer geworden, der Regen kommt unvermittelt, als wolle er uns an den Wechsel der Jahreszeiten erinnern. Die Abende, die erst noch lang waren, kühlen merklich ab, und mit der Dunkelheit, die nun immer früher kommt, ziehen wir uns in die Stille des Abends zurück.
Sechs Monate sind wir nun schon unterwegs, und Gibraltar ist zum Greifen nah. Es fühlt sich an, als ob ein erster Abschnitt unserer Reise sich bereits schliesst. Ein Kapitel voller Fragen, die uns seit dem Ablegen begleiten. Als wir lossegelten, trugen wir einen Wunsch im Herzen: das Leben ohne Zeitdruck, frei von Terminen, im Einklang mit dem Fluss der Tage. Wir hofften, neue Welten zu entdecken – nicht nur jene, die auf den Landkarten, sondern auch jene, die tief in uns selbst verborgen liegen. Wir suchten Ruhe, ersehnten Raum für neue Gedanken und Begegnungen, für den Austausch mit fremden Menschen und Kulturen.
Würde uns die Beschränkung auf die 10,5 x 3,3 Meter, die unsere Rosalie uns bietet, gelingen? Würde die geplante Route standhalten oder sich mit der Freiheit des Meeres in etwas Ungeahntes verwandeln? Würden wir länger verweilen wollen oder immer wieder der Ferne nachjagen? Und wie würde es uns als Paar ergehen – in der Intimität dieser kleinen, schaukelnden Welt, auf der wir leben?
Sechs Monate später, hier und jetzt, in einer stillen Ankerbucht, kurz bevor wir das Mittelmeer erreichen, spüre ich, dass sich einige Fragen beantworten lassen. Wir sind noch immer vom Entdecken beseelt, vom Drang, weiterzuziehen, als hätte die Welt uns noch nicht alles erzählt. Das Verweilen – so schön es sein mag – hat uns noch nicht so sehr gefesselt wie die Magie des Aufbruchs. Und ja, Seekrankheit bleibt ein treuer Begleiter, zumindest für mich. Doch auch das ist Teil unserer Routine geworden, eine Welle unter vielen, die sich immer sanfter in das Leben fügt.
Ich spüre, dass ich mich verändert habe. Ich gehe leichter auf Fremde zu, bin offener und neugieriger geworden. Die Freundlichkeit, die mir immer wieder begegnet, überrascht und berührt mich tief. Und obwohl mich die vielen Eindrücke oft müde machen, finde ich Ruhe in unserem Rückzugsort, dem Inneren der Rosalie. Hier hat alles seinen festen Platz, nichts ist zu viel, alles ist vertraut. In dieser kleinen Welt finde ich einen Frieden, der tief in mir schwingt.
Auch als Paar sind wir gewachsen. In der Stille des Meeres, fernab von Ablenkungen, hat unser gemeinsames Leben eine neue Facette bekommen. Wir lesen einander besser, wissen, wann der andere Raum braucht oder Nähe sucht. Es ist ein stilles Verstehen, das uns stärkt. Remo fasst es in Worte, als ich ihn nach seinem Fazit frage: „Man nimmt sich selbst mit auf eine Reise, doch manchmal entdeckt man neue Seiten an sich. Und ich bin stolz auf das, was wir tun.“
Wir sind also noch nicht am Ende, sondern erst am Anfang neuer Abenteuer. Das Mittelmeer wartet, mit neuen Begegnungen, neuen Erfahrungen und vielleicht auch neuen Facetten von uns selbst.
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Anita Reusser (Sonntag, 13 Oktober 2024 20:07)
Liebe Marie-Louise so wunderschön geschrieben! Tief aus dem Herzen und der Seele! Berührend offen und ehrlich. Geniesst die Reise, Eure Zweisamkeit und die Abenteuer. So spannend, zu hören, wie eine Harmonie entstehen kann.
Liebe Grüsse und schöne Weiterreise Anita
mutter renate (Sonntag, 13 Oktober 2024 20:24)
ich wünsche euch von ganzem herzen alles liebe .
Meli (Sonntag, 13 Oktober 2024 21:58)
Soo schön! Wunderbar; wieter so❤️
Irène (Sonntag, 13 Oktober 2024 23:18)
Ihr beiden, so naturverbunden unterwegs, so viel wie es zu entdecken gibt im Aussen, so lese ich, gibt es auch im Innen weitere Welten von sich zu entdecken. Welche Landschften sich zeichnen und zeigen und wie sie sich anfühlen, spannend, auch diese Ozeane. Ich wünsche euch weiterhin ein wunderbares Lauschen. Die wunderschönen Bilder sprechen für sich.
So schön zu lesen, danke fürs Teilen. Alles Liebe und Gute ⭐️
Nadine (Montag, 14 Oktober 2024 10:43)
Soo schön erzählt und beschrieben. Geniesst diese wunderbare Zeit zusammen. Wünsche Euch weiterhin eine spannende und unvergessliche Reise... Liebe Grüsse aus dem Müntschemierer Alltag... Nadine
Jana (Donnerstag, 24 Oktober 2024 18:32)
Liebe beide
Das ist das Gedicht des Lebens... traumhaft, unbeschreiblich, tiefgründig und schön... Ihr fühlt und sieht das Leben... Geniesst es in vollen Zügen, in euren Herzen und in eurer Seele...
Vielen Dank lässt ihr uns daran teilnehmen, uns im Alltag stärken und kurz inne zu halten �